Ausdehnung und Verdichtung von Siedlungsgebieten gehen meist mit einer Verschlechterung der Lebensqualität einher. Der Klimawandel verschärft die Situation, indem er Wärmeinseln und Naturgefahren wie Überschwemmungen begünstigt. Die Förderung von blau-grüner Infrastruktur ist daher eine bewährte Lösung zur Schaffung besserer Umweltbedingungen für die Stadtbevölkerung.
Das blaue Netz (fliessende und stehende Gewässer) erbringt heute vielfältige Leistungen (sog. Ökosystemleistungen), die weit über die ursprünglichen Ziele für die Anlage der Gewässer im Siedlungsraum hinausgehen. Gewässer im Siedlungsraum werden z. B. oft aus ästhetischen (Parks, Privatgärten) oder funktionalen Gründen (Wasserrückhalt) geschaffen. Dennoch bieten sie potenziell viele weitere Leistungen, wie Schadstoffrückhalt, CO2-Speicherung, multifunktionales Wasserreservoir (z. B. Bewässerung, Brandbekämpfung, Viehtränke), Erholungs- oder Freizeitort, Kühlung des Mikroklimas und Bereitstellung neuer Lebensräume für die Biodiversität (Beitrag zur ökologischen Infrastruktur) (Fig. 1).
In den meisten Städten gibt es bereits Gewässer (Tümpel oder Teiche). Ihre Dichte bzw. Gesamtfläche ist jedoch meist relativ gering. Eine Verdichtung (durch die Anlage neuer Gewässer) ist also möglich und angesichts der umfangreichen Leistungen sogar wünschenswert. Zudem lassen sich bestehende Gewässer durch geeignete, oft kostengünstige Massnahmen leicht optimieren [2] .
Im Leitfaden [1] werden fünf Ökosystemleistungen behandelt, die zu den wichtigsten Vorteilen von Teichen im Siedlungsraum zählen:
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Die Ökosystemleistung «CO2-Speicherung» (potenziell wichtig in Tümpeln und Teichen) wurde bewusst nicht berücksichtigt, da wissenschaftliche Kenntnisse zu ihren Optimierungsfaktoren fehlen. Weitere Leistungen, die ein Wasserspeicher im Siedlungsraum erbringen kann, sollten in Zukunft, z. B. in Hinblick auf die Bewässerung, an Bedeutung gewinnen.
Stehende Gewässer tragen zur Wiederherstellung eines natürlichen Wasserkreislaufs bei und reduzieren die Überschwemmungsgefahr, da sie bei starken Regenfällen als Rückhaltebecken dienen. Durch ihr Rückhaltevolumen leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Abflussregulierung im Siedlungsraum. Aufgrund der sich ändernden Niederschlagsverhältnisse und intensiveren Sommergewittern ist der Klimawandel eine künftige Herausforderung. Das Konzept «Stormwater Pond» wird vor allem in Ländern angewandt, in denen es grosse Siedlungsflächen ermöglichen, (mehrere Hektar) grosse Gewässer zu schaffen. Selbstverständlich ist es auch in der Schweiz wünschenswert, solche Gewässer oder Netze aus einer Vielzahl von Kleingewässern anzulegen (Fig. 2).
Das Potenzial von Teichen zur Wasserreinigung ist seit langem bekannt. Rückhaltebecken für Regenwasser können, sofern sie vegetationsreich sind (Fig. 3), die Konzentration von Schadstoffen aus dem Siedlungsraum im Wasser reduzieren und so das unterhalb gelegene Einzugsgebiet schützen. Im Siedlungsraum lassen sich im Regenwasser eine große Vielfalt und Vielzahl an Schadstoffen nachweisen: Nährstoffe (insbesondere Stickstoff), Schwermetalle, organische Verbindungen (PAK, PCB), Schwebstoffe, Pestizide, Mikroverunreinigungen und Krankheitserreger. Sie stammen vor allem aus dem Strassenverkehr (Strassenbelag, Verbrennungsrückstände, Reifenabrieb) und aus Wohnräumen (Heizungen, Dächer, Fassadenbehandlung usw.). Die Wasserreinigung in Teichen wird durch das Zusammenspiel verschiedener Prozesse gewährleistet: Sedimentation, Adsorption an Sedimenten oder Pflanzen, Phytoreinigung, bakterielle Aktivität, Photolyse und andere chemische Reaktionen.
Die Biodiversitätsförderung in Siedlungsgebieten ist ein Ziel der Schweizer Biodiversitätsstrategie. Teiche können einen Beitrag dazu leisten. Wenngleich der spezifische Fauna- und Florareichtum im städtischen Raum im Vergleich zum ländlichen Raum oft gering ist, konnte dennoch ein Potenzial zur Beherbergung vielfältiger Arten eindeutig nachgewiesen werden (Fig. 4). Zudem lässt sich dieses Potenzial in Teichen im Siedlungsraum durch die Umsetzung sehr einfacher Bewirtschaftungsmassnahmen für eine größere Anzahl und Vielfalt der Lebensräume leicht steigern.
Angesichts des Klimawandels suchen Städte- und Raumplaner nach Lösungen, um dem Phänomen von Wärmeinseln im Siedlungsraum entgegenzuwirken. Grosse stehende Gewässer (mehrere Hektar) können die Lufttemperatur in der Umgebung möglicherweise senken. Hierbei spielen das physikalische Prinzip der Evapotranspiration der Gewässer am Tag und das Wärmespeichervermögen eine entscheidende Rolle. Auch Springbrunnen oder Wasserfälle tragen zur Temperatursenkung bei. Der Einfluss von Kleingewässern ist bei der Kühlung des Klimas jedoch vernachlässigbar. Ein Abkühlungseffekt wird zwar wahrgenommen, ist aber vor allem zurückzuführen auf:
Soziale Erhebungen zu Teichen im Siedlungsraum haben ihre sehr gute Akzeptanz durch eine grosse Mehrheit der Bevölkerung gezeigt, die deren positiven Beitrag zum Wohlbefinden anerkennt (Fig. 6). Ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung betrachtet ein Gewässer jedoch als Quelle von Beeinträchtigungen («Dis-Services»): Mücken, Froschquaken, Massenvermehrung von Cyanobakterien oder Gefahr des Ertrinkens. Diese Beeinträchtigungen treten jedoch nur selten auf. Zudem gibt es Lösungen, um sie zu minimieren oder ganz zu beseitigen.
Die durch Gewässer im Siedlungsraum erbrachten Ökosystemleistungen sind in den vergangenen Jahren durch die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung vielfach untersucht worden. Die in verschiedenen Städten weltweit und auch in der Schweiz gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse ermöglichen es heute, Lösungen zur Optimierung von Tümpeln und Teichen bereitzustellen, um diese Ökosystemleistungen zu fördern. Diese Lösungen umfassen mehrere Massnahmen, die bei der Anlage, Aufwertung und Bewirtschaftung dieser Gewässer zu ergreifen sind.
Der neue Leitfaden «Guide pratique pour l’optimisation des services écosystémiques des plans d’eau urbains» (Das Praxis Handbuch zur Optimierung von Ökosystemleistungen in Teiche im Siedlungsraum) [1] vereint die wichtigsten Massnahmen zur Optimierung der fünf vorgängig beschriebenen Ökosystemleistungen (Wasserrückhalt, Wasserreinigung, Lebensräume für die Biodiversität, Kühlung des Mikroklimas und Erholung). Der Leitfaden enthält eine Entscheidungshilfe (Excel-Datei), die eine Priorisierung der umzusetzenden Massnahmen ermöglicht, je nachdem, wie viel Wert auf diese gelegt wird. Dieses Instrument ist flexibel einsetzbar, da es den vorgeschlagenen Teichprototyp auf die Ziele der Bewirtschafter und die lokalen Gegebenheiten ausrichtet.
Dieser Leitfaden wurde zwischen 2019 und 2022 an der HES-SO entwickelt. Die in diesem Leitfaden beschriebenen Massnahmen zur Optimierung der Ökosystemleistungen konnten definiert werden dank der in früheren Projekten gewonnenen Expertise interdisziplinärer Teams der HES-SO, wissenschaftlicher Veröffentlichungen sowie der 2020 und 2021 im Rahmen von zehn Fallstudien in Genf und Yverdon gesammelten Daten.
Der Leitfaden [1] richtet sich an alle Personen oder öffentlichen bzw. privaten Einrichtungen, die ein neues stehendes Gewässer im Siedlungsraum anlegen oder ein bereits bestehendes Gewässer aufwerten oder bewirtschaften möchten. Der Leitfaden kann daher sowohl für die Anlage neuer Gewässer als auch für die Aufwertung bestehender Gewässer angewandt werden.
Je nach Gewässer und erwünschten Ökosystemleistungen ermöglicht es das beigefügte Tool (Excel-Datei), eine Liste priorisierter Massnahmen zu erstellen, die zur Optimierung des Gewässers zu ergreifen sind. Der Nutzer des Instruments bestimmt die jeweilige Bedeutung der fünf Ökosystemleistungen (Wasserrückhalt, Wasserreinigung, Lebensräume für die Biodiversität, Kühlung des Mikroklimas und Erholung) für das entsprechende Gewässer im Siedlungsraum. Dazu bewertet er die Ökosystemleistungen mit einer Note von 5 (stark erwartete Leistung) bis 0 (nicht erwartete Leistung). Aus einer Liste von 21 Massnahmen (siehe nächstes Kapitel) wählt das Tool passende aus und stuft sie je nach Bedeutung im Zusammenhang mit der jeweiligen Situation ein. Diese Liste von 21 Massnahmen ist auf der Grundlage von 252 möglichen Szenarien (alle möglichen Kombinationen der 21 Massnahmen mit der jeweils beigemessenen Bedeutung) erstellt worden. Für jede Massnahme wird die erwartete Auswirkung auf die fünf Ökosystemleistungen beschrieben. Das Instrument zur Entscheidungshilfe ermöglicht es auch, mehrere Szenarien (von den 252) zu simulieren, um den am besten geeigneten Teichprototyp auszuwählen.
Mithilfe des Leitfadens [1] lassen sich also die grundlegenden Entscheidungen für die Umsetzung eines Projekts zur Anlage, Aufwertung oder Bewirtschaftung eines Gewässers treffen und dabei die Möglichkeiten und Einschränkungen des Standorts berücksichtigen. Das Instrument zur Entscheidungshilfe bietet einen Überblick, beschreibt die Massnahmen jedoch nicht im Detail. Die Umsetzung dieser Massnahmen erfordert Expertise im Bereich Gewässerbewirtschaftung (z. B. Planungsbüro oder Experten). Dieser zusätzliche Schritt ermöglicht es, lokale Einschränkungen zu berücksichtigen, die dem Tool nicht bekannt sind und nicht integriert werden können. Hier sind zudem technische Kenntnisse im Zusammenhang mit den zu ergreifenden Massnahmen nötig, die in verschiedenen im Leitfaden aufgeführten Publikationen und Dokumenten beschrieben sind.
Der Leitfaden umfasst 21 Massnahmen, die die Optimierung eines Gewässers je nach gewünschten Ökosystemleistungen ermöglichen. Sie sind in drei verschiedene Kategorien unterteilt:
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Ihr Beitrag zur Förderung der fünf Ökosystemleistungen ist in Tabelle 1 dargestellt.
Tab. 1. Die 21 Massnahmen für Tümpel und Teiche im Siedlungsraum und ihr Beitrag zur Optimierung der fünf Ökosystemleistungen. Die Symbole (o, - oder +) zeigen den potenziellen Beitrag der Massnahme zur Förderung der jeweiligen Ökosystemleistung.
Dieser Überblick unterstreicht die Bedeutung der einzelnen Massnahmen. Massnahme Nr. 1 «optimierte Fläche» ist bei jeder Art von Projekt vorrangig umzusetzen, da sie sich auf alle fünf Ökosystemleistungen in hohem Mass positiv auswirkt. Weitere Massnahmen erweisen sich für vier der fünf Ökosystemleistungen als wichtig, insbesondere ein Design mit «abgeflachten oder stufenförmigen Ufern» (Massnahme Nr. 3; siehe Fig. 7), die Gestaltung eines «breiten Uferbereichs mit Sumpfpflanzen» (Massnahme Nr. 7; siehe Fig. 8) und eine Bewirtschaftung, die den Erhalt einer «guten Wasserqualität» gewährleistet (Massnahme Nr. 17).
Werden die Ökosystemleistungen einzeln betrachtet, sind die nachfolgend beschriebenen Massnahmen die wichtigsten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es der Leitfaden und sein Tool ermöglichen, mehrere Ökosystemleistungen gemeinsam und nicht voneinander losgelöst zu betrachten.
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In zwei Boxen weiter unten werden die Massnahmen Nr. 1 und Nr. 7 detaillierter beschrieben, um zu veranschaulichen, welche Art von Informationen im Leitfaden enthalten sind. Die anderen 19 Massnahmen werden im Leitfaden in ähnlicher Weise umrissen.
2021/22 wurde der Lehrteich «André Venturi» von der Haute Ecole du Paysage, d’Ingénierie et d’Architecture (HEPIA) im Stadtzentrum von Genf (rue de la Prairie) angelegt. Dieses Gewässer soll zur Aus- und Weiterbildung von Studierenden und Fachleuten beitragen und umfasst daher alle fünf im Leitfaden vorgestellten Ökosystemleistungen.
Der Einsatz der Entscheidungshilfe ermöglichte die Erstellung einer Liste von Massnahmen (in absteigender Reihenfolge nach Relevanz geordnet), um das Gewässer in Bezug auf die ausgewählten Ökosystemleistungen zu optimieren. Diese werden schematisch in Figur 9 dargestellt. Die drei wichtigsten Massnahmen im Bereich Design sind eine optimierte Fläche (z. B. grösstmöglich in Bezug auf den zur Verfügung stehenden Bereich) (Massnahme Nr. 1 der Tabelle 1), eine grosse Tiefe (Massnahme Nr. 2) und ein abgeflachtes Ufer (Massnahme Nr. 3). Die drei wichtigsten Massnahmen im Bereich Gestaltung sind ein breiter Uferbereich mit Sumpfpflanzen (Massnahme Nr. 7), ein Ablauf (Massnahme Nr. 12) und die Einrichtung einer Absperrung (Massnahme Nr. 16). Die wichtigsten Massnahmen im Bereich Bewirtschaftung sind der Erhalt einer guten Wasserqualität (Massnahme Nr. 17), die Begrenzung der Fischdichte (Massnahme Nr. 18) sowie das Abmähen und Entfernen der Vegetation (Massnahme Nr. 20).
[1] Decrey, M.; Beytrison, U.; Bourgeois, J.-P.; Camponovo, R.; Consuegra, D.; Demierre, E.; Gallinelli, P.; Hornung, J.; Sordet, A.; Vecsernyés, Z.; Oertli, B. (2022): Guide pratique pour l’optimisation des services écosystémiques des plans d’eau urbains. HEPIA, Genève. https://campus.hesge.ch/conforto/
[2] Oertli, B.; Decrey, M.; Demierre, E;, Fahy, J.C.; Gallinelli, P.; Vasco, F.; Ilg, C. (2023): Ornamental ponds as nature-based solutions to implement in cities. Science of the Total Environment 164300. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.164300
Tabelle 2 fasst die Auswirkungen von Massnahme Nr. 1 auf die fünf Ökosystemdienstleistungen zusammen und bewertet sie. Die Figuren 10 und 11 zeigen zwei Beispiele von städtischen Teichen, in denen diese Massnahme umgesetzt wurde.
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Tab. 2 Die verschiedenen Auswirkungen von Massnahme Nr. 1 «optimierte Fläche» auf die 5 Ökosystemleistungen.
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Fig. 10 Dieses Gewässer ist zwar nicht sehr gross (400 m2), in diesem Fall jedoch ausreichend, da der Tümpel das gesamte Regenwasser aus dem benachbarten Gebäude auffängt. Teich Pallanterie (GE).
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Fig. 11 Die Fläche dieses Teichs (145 m2) wurde an die lokalen Einschränkungen (schmales Grundstück, geringe Grösse) angepasst. Er bietet dennoch eine enorme Vielfalt von Lebensräumen mit hoher Biodiversität. Teich Jardin du Cœur (VD).
Die Auswirkungen dieser Massnahme auf die fünf Ökosystemdienstleistungen, einschließlich der Bewertung, sind in Tabelle 3 beschrieben. Zwei Beispiele für breite Vegetationsgürtel sind in Figur 12 dargestellt.
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Tab. 3 Die verschiedenen Auswirkungen von Massnahme Nr. 7 «Breiter Gürtel mit aufstrebenden Pflanzen» auf die fünf Ökosystemleistungen.
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Fig. 12 Breite Uferbereiche mit Vegetation (z. B. Schilfgras, Rohrkolben, Binsen, Seggen, Schwertlilien) bieten eine Vielzahl von Lebensräumen für die Biodiversität. Zudem sorgen sie für einen ästhetischen Mehrwert und erschweren den Wasserzugang für Kinder. Diese Pflanzen tragen ausserdem zur Wasserreinigung (Phytoreinigung) bei. Oben: Gewässer Eaux-vives; unten: Gewässer Vernes (beide GE).
Der Leitfaden wurde mit Unterstützung des F&E-Programms «Natur und Stadt» der HES-SO entwickelt. Zusätzliche Unterstützung erfolgte durch den Kanton Genf (Amt für Wasser). Die Anlage des Lehrteichs «André Venturi» (Fig. 9) wurde durch die HES-SO//GE, die HEPIA und die Stadt Genf gefördert.
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